Entgegen klassischer Wachstumsorthodoxie, die eine globale Ausbreitung prosperierender Wohlstandsgesellschaften mit exponentiellen Wachstumszunahme zu erreichen suchen, plädieren Ökonomen wie Nicholas Georgescu-Roegen (La décroissance), Ivan Illich (Selbstbegrenzung), Herman Edward Daly (Steady-state economy) und Niko Paech (Postwachstumsökonomie) für die Verwerfung der ökonomischen Norm der quantitativen Wachstumsexpansion (Löhr 2009: 325; Georgescu-Roegen 2014; Illich 1980; Daly 1999; Paech 2018). Georgescu-Roegen führt das zweite thermodynamische Gesetz der Physik an, um die mathematische Unmöglichkeit des unendlichen Wirtschaftswachstums nachzuweisen. Der Ökonom belegt damit, dass die biosphärischen Kapazitäten niedriger Entropie,[1] d.h. das wirksame Nutzungspotential der vorhandenen Energiemenge auf diesem Planeten in begrenzter Menge vorhanden ist (Georgescu-Roegen 2014).
Ivan Illich beobachtet das Wachstumsdilemma aus einer anderen Perspektive, indem er das Verständnis der Produktivität mit ‚haben‘ und der Konvivalität[2] mit ‚sein‘ konjugiert und in der Dynamik des Industriesystems einen «Widerspruch zum Wesen des menschlichen Gleichgewichts» entdeckt, der seine selbstbestimmte und selbstständige Handlungsfähigkeit einschränkt (Illich 1980: 50; 85-86). Da der «Überfluss jeden zwingt» mehr natürlich beschränkte Ressourcen zu verausgaben, kann nur die «Verringerung der Weltproduktion» die Umweltkatastrophe abwenden. Die «Entwöhnung vom Wachstum» wird nach Illich schmerzhafte Nachwehen verursachen (Illich 1980: 150).
Die Menschen müssen lernen,[…] ihren Konsum und ihren Gebrauch der Dinge zu begrenzen. Wie Selbstbeherrschung nicht das Ergebnis einer Manipulation sein kann, so ist es auch unmöglich, die Menschen zur freiwilligen Selbstbegrenzung und Freude an Selbstbestätigung zu erziehen. In einer Welt, die vollkommen darauf ausgelegt ist, immer mehr zu produzieren und dabei die Illusion zu schaffen, dass das alles immer billiger sei, ist es unmöglich, den freiwilligen Verzicht zu lernen (Illich 1980: 121).
Herman Edward Daly sieht die wachstumsorientierten Bestrebungen als «antiökonomisch,» weil sie die natürlichen Existenzgrundlagen zerstören und zum zivilgesellschaftlichen “Verlust der Unabhängigkeit«[3] sowie der «Autokratie» führen (Daly 1999: 194 ff.). Auch der französische Soziologe und Ökonom Serge Latouche setzt sich für die Aufhebung des Wachstumszwangs und die Einschränkung des Konsums durch Umstrukturierung gegenwärtiger Marktmechanismen. Die von Latouche geforderte Wachstumsrücknahme[4] impliziert die Neuausrichtung des ökologischen Wertewandels, die Restrukturierung von Produktionssystemen, und die Hinwendung zu lokalen Produktionsweisen (Latouche 2015: 50 ff). Inhaltlich sind davon die Überlegungen des deutschen Ökonomen Niko Paech nicht weit entfernt, der für die von materiellem Übergewicht entschlackte Lebensführung mit Suffizienz- und Subsistenzpraktiken plädiert. Die voranschreitende ökologische Plünderung, so Paech, kann durch reduktive Lebensstile und zivilgesellschaftliches Engagement gestoppt werden (Paech 2013: 79). Allerdings gilt der Suffizienz-Gedanke für die breiten Öffentlichkeitsmassen als ein realitätsferner, öko-fundamentalistisches Diktat (Paech 2018: 210). Paech kritisiert, dass die Stabilität der modernen Konsumgesellschaft auf der Verfügbarkeit endlicher Erdöl-Ressourcen basiert, die mit der «Konsumrevolution» der Schwellenländer ins Schwanken gerät. Schon heute steuert die Menschheit blind auf «Peak Everything» zu (Heinberg 2007). Wie auch seine Zunftgenossen, bewertet Paech kritisch die Abhängigkeit von globalisierten Fremdversorgungssystemen, die zur sozialen und ökonomischen Vulnerabilität führt (Paech 2013: 90). Die fortschreitende Monetarisierung nahezu aller Lebensbereiche des Individuums distanziert ihn von der sozialen Bindung (Paech 2011: 91). Damit wird der Mensch in ein System der arbeitsteiligen und geldbasierten Fremdversorgung eingegliedert, während seine bisherigen Versorgungsformen und sozialen Netzwerke auf lokaler Ebene zerstört werden. Die einst angewendeten Fähigkeiten zur Selbstversorgung — fernab von spezialisierter Erwerbstätigkeit — wurden verlernt und nicht an neue Generationen weitergegeben.
Dieser Wandel lässt sich anhand der Historie von deutschen Schrebergärten nachzeichnen, die nach dem Zweiten Weltkrieg das Überleben der Menschen sicherten. Im Zuge des europäischen Wirtschaftsbooms der 1960er Jahre sowie der konstanten Ausweitung der Konsumzonen galten die Gärten nicht mehr als zeitgemäß und wurden zugunsten der agroindustriellen Nahrungsmittelversorgung durch die großen Supermarktketten aufgegeben. Anders als in den USA, wo die Gärten nach der Ölkrise von 1973 in den städtischen Industrieregionen zu florieren begannen und bis heute das Paradebeispiel der urbanen Selbstversorgung[5] sind, wurde das Aufleben der Garten-Bewegung im Kerneuropa erst einige Jahre nach der Millennium-Wende konstatiert (Haide; Halder 2011: 274). Der Anlass zur Neuausrichtung dieses Wertewandels liegt in der unabdingbaren Abhängigkeit vom Wachstum, das sich seiner eigenen Grundlage durch steigende Energie-, Flächen-und Ressourcenansprüche beraubt. Vor diesem Hintergrund entsteht die Frage nach den Gestaltungsmöglichkeiten der Aktionspfade, die uns von fremdregulierten Versorgungssystemen innerhalb urbanisierter Räume befreien können. Kann die mögliche Antwort darauf in der Rückbesinnung auf die bewährten subsistenzorientierten Versorgungsstrukturen liegen, die als basale Ressource zur resilienter Lebensweise in der Neukoordinierung von Relation zwischen Selbst- und Fremdversorgung liegt? Wie können also die einst verschütt gegangene Prinzipien und Praktiken aufgegriffen und vergesellschaftlicht werden? Diese Fragen sind für unser Überleben in der heutigen Zeit von essentieller Bedeutung und müssen gesellschaftspolitisch eingegangen werden.
Literatur
Daly, Herman Edward: Beyond Growth. The Economics of Sustainable Development. Boston 1996.
Georgescu-Roegen, Nicholas: The Entropy Law and the Economic Process. Cambridge 2014.
Haide von der, Ella; Halder, Severin; Jahnke, Julia et al.: Guerilla Gardening und Andere Politische Gartenbewegungen. Eine Globale Perspektive, in: Christa Müller (Hrsg.): Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt. München 2011. S. 266-278.
Heinberg, Richard: Peak Everything: Waking Up to the Century of Declines. Gabriola Island 2007.
Illich, Ivan: Selbstbegrenzung. ‚Tools for Conviviality‘.Hamburg 1980.
Latouche, Serge: Es Reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn. München 2015.
Löhr, Dirk: Die Plünderung der Erde. Anatomie einer Ökonomie der Ausbeutung. Ein Beitrag zur Ökologischen Ökonomik. Kiel 2009.
Packard, Vance: The Waste Makers. New York 1960.
Paddeu, Flaminia: Demystifying Urban Agriculture in Detroit, in: Metropolitics (Hrsg.): Series: Shrinking Cities, online im Internet: https://www.metropolitiques.eu/IMG/pdf/met-paddeu-en.pdf, zuletzt aufgerufen am 07.03.2020.
Paech, Niko: Der «grüne» Fortschritt ist Gescheitert, in: Maja Göpel, Heike Leitschuh, Achim Brunnengräber, Pierre Ibisch et al.: «Leitkultur» Ökologie? Was War, Was Ist, Was Kommt? Jahrbuch Ökologie 2017/18. Stuttgart 2018. S. 207-220.
Paech, Niko; Paech, Björn: Vom
Wachstumsparadigma zur Postwachstumsökonomie, in: Wolfram Huncke, Jürgen
Kerwer, Angelika Römling (Hrsg.): Wege in die Nachhaltigkeit. Die Rolle von Medien,
Politik und Wirtschaft bei der Gestaltung unserer Zukunft. Hessische
Landeszentrale für Politische Bildung. Wiesbaden 2013. S. 73-95.
[1] Aus dem Griechischen bedeutet entrepein «umkehren.»
[2] Unter Konvivalität versteht der Illich «den autonomen und schöpferischen zwischenmenschlichen Umgang und den Umgang des Menschen mit seiner Umwelt» (Illich 1980: 33).
[3] Zum Verlust der Unabhängigkeit s. Vance Packard (1964: 230ff) und Serge Latouche (2015: 50 ff).
[4] In der Fachliteratur ist der theoretische Ansatz auch als Degrowth bekannt.
[5] Die Initiative aus Detroit ist ein lebhaftes Beispiel dessen, wie brachliegenden, vormals industriell vorgeprägten Landschaften ökologisch und subsistenzorientiert aufgewertet worden sind (Paddeu 2017).